22. April 2003

In meinem Gyrosgrill treffe ich ja täglich auf die unterschiedlichsten Leute. Fast täglich besuchen mich Typen, deren bierseligem Genuschel ich gerade noch entnehmen kann, dass George W. Bush, oder wahlweise auch Helmut Kohl, Gerhard Schröder oder wer sonst gerade auf dem Titelblatt ihrer Parkbankdecke zu sehen war, an ihrem ganzen Elend schuld sei.
Heute führte mich mein Weg jedoch mal aus der Südstadt hinaus und ich traf auf Leute, deren skurriles Aussehen sogar mich erschütterte. Es begann schon auf dem Weg zur Bahn. Ich bog um eine Straßenecke. Naja, vielmehr hatte ich das noch vor, doch schon von weitem hörte ich eine Türkin in ihr Handy schreien, dass ich dachte, man müsste ihr mal den Sinn eines Telefons erklären. Sie schien bis in die Türkei schreien zu wollen. Wäre zwar billiger, aber so ein Handy will ja auch vorgezeigt werden!
Lipon, ich ging mit mittlerem Gehörschaden weiter, ein Pfeifen im linken Ohr. In der Bahn ging es weiter. Erst ein Typ, Marke "Mein Äu ßeres ist mir egal". Unfrisierbare Locken, ein wenig lang geraten, graues Kapuzenshirt mit ausgeleierten und beschmuddelten Bündchen - und ein Nasenring, der ihm bis an die Oberlippe hing. Dazu gesellte sich eine Frau, so der Typ Lesbe, die jedes Jahr im Frühling zur Selbstfindung in die Toscana fährt und ihre Menstruation klöppelt oder töpfert. Aus schwarz-weiß gemustertem Karnevalsstoff genähte Hose, darüber ein weit geschnittenes, schwarzes Pannesamt-Oberteil mit extra verlängerten Ärmelspitzen. Die Haare pechschwarz gefärbt und wie mit dem Lineal geschnitten. Wer sich an Frau Krone-Schmalz erinnert, weiß, was ich meine. Ganz gewagt hatte sie aber zwei Strähnchen an der Stirn länger gelassen und sie, vermutlich mit Pattex, in einer liebevoll und akurat gelegten Rolle auf die Stirn geklebt.
Ich stieg aus der Bahn und über den Bahnsteig kam mir ein Mann entgegengewackelt. Die Figur des Michelinmännchens watschelte er seines Wegs und erinnerte mich irgendwie an den Marchmallowman aus Ghostbusters. Es war wohl ein Reflex, dass ich mich zur Seite bückte, als er an mir vorbei kam.
Weiter ging der fröhliche Reigen mit einer Seniorin, die gebeugt mit winzigen Schrittchen ihren Weg über den Ebertplatz fand, um den Kopf ein gelb-blau-grünes Tuch im Rambo-Style gebunden; einem ca. 50 jährigen Mann, der mit seiner bis fast an die Brust gezogenen Jeans aussah, als hätte er eine Strampelhose an. Eine Windel konnte ich nicht ausmachen, so genau wollte ich allerdings auch nicht hinsehen.
Irgendwie gaben diese Leute für mich kein stimmiges Bild ab. Irgendein Detail wollte sich einfach nicht ins Puzzle fügen. Bin ich heute überempfindlich oder ist die Welt wirklich ein kleines Stückchen aus ihrer gewohnten Bahn gestolpert. Und geht das jetzt so weiter? Werden wir jetzt alle so? In einer Albtraumvision sehe ich mich schon in einem weiten Batikkleid auf einer Wiese in der Toskana sitzen. Watschelnd habe ich meinen Weg hierher gefunden, in der Wolke süßlichen Parfums tummelten sich Schmetterlinge und Schmeißfliegen. Meine gefärbten, aber herausgewachsenen Haare sind mit einem verwegenen Stirnband gebändigt, nur einige Locken kleben mir an der feuchten Stirn. An die vor mir stehende Töpferscheibe komme ich kaum heran. Mit der Aufgabe, meine Menstruation zu töpfern, fühle ich mich überfordert, denn die kann ich seit Jahren nicht mehr verfolgen, nicht mal mit einem Spiegel....

Ich schrecke aus dem Tagtraum auf. Ein Kunde verlangt Gyros mit Pommes. Ich erlebe erleichtert, dass ich noch problemlos an den sich gleichmäßig drehenden Gyrosspieß herankomme. Stutzig werde ich nur kurz, als ich bemerke, mit welchem Ausdruck und unterdrücktem Stoßseufzer ich den Ketch-up auf die Pommes klatsche.